Dr. Rainer Prewo"Brief von Dr. Rainer Prewo an Landrat Helmut Riegger vom 17. November 2020"
Mittelstandsunfreundliche Vergabe der Nahverkehrsbündel Mitte/Los 1 und /Los 2 und Südost
Sehr geehrter Herr Landrat,
ich nehme Bezug auf unseren Schriftverkehr und möchte nach der gestrigen Situationsbeschreibung im VWA nochmals appellieren, die Vergabe der Nahverkehrsbündel zu stoppen bzw. zurückzudrehen. Anderenfalls drohen dem Kreis Calw große Schäden. Mit dem Zuschlag aller drei bisher vergebenen Linienbündel an die DB-Tochter RAB droht der Nahverkehrsmarkt im Kreis Calw, der bisher von mittelständischen Unternehmen geprägt ist, die im marktwirtschaftlichen Wettbewerb untereinander stehen, künftig in eine mehr oder minder monopolistische Struktur verwandelt zu werden. Nicht nur verlieren kleinere Unternehmen, die über viele Jahre zuverlässig gefahren sind, absehbar ihre Existenz (außer sie fahren vorerst als Subunternehmer unter der Regie des beherrschenden Monopolisten). Auch dem Landkreis und den Fahrgästen im Kreis Calw kann es nicht zum Vorteil sein, wenn sich mittelfristig die Fahrpreise nicht mehr im Wettbewerb bilden. Ein markt- wirtschaftlicher Wettbewerb, der einmal verloren gegangen ist, lässt sich erfahrungsgemäß kaum mehr zurückgewinnen.
Das Ziel des neuen Nahverkehrsplans war aber (beim Einleitungsbeschluss des Kreistags) ausdrücklich, den Wettbewerb zu sichern! Dass das gründlich schief ging, liegt auch nicht etwa daran, dass die heimischen Unternehmen sich im Vergabeverfahren nicht energisch genug engagiert hätten oder dass sie zu hohe Preise oder Zuschüsse verlangt hätten. Die Differenzen waren durchweg – teilweise geradezu lächerlich – gering. Die Auskunft im AK Nahverkehr: Man müsse eben „nach dem Gesetz an den Bieter mit dem niedrigsten Preis vergeben“, trifft nicht zu. Im Gesetz (VOL/A § 25 Nr. 3) steht ausdrücklich: „Der Zuschlag ist auf das unter Berücksichtigung aller Umstände wirtschaftlichste Angebot zu erteilen. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend.“
Unterhält der auswärtige Anbieter im Kreis Calw einen Betriebshof, von dem ggf. rasch Ersatzfahrzeuge einsetzbar sind? Wie steht es mit der Ortskunde des Fahrpersonals? Mit der Erreichbarkeit für Beschwerden? Welcher Unternehmer oder Verbraucher würde das beim Einkauf nicht wirtschaftlich berücksichtigen und stattdessen den billigsten Preis mit „Wirtschaftlichkeit“ verwechseln? - Im Gesetz wird auch ausdrücklich auf das Kriterium der „Zuverlässigkeit“ verwiesen (die die heimischen Unternehmen bewährt erfüllen). Bestehen hier Zweifel, kann dies sogar Grund für einen Ausschluss des Angebots sein. Liegen Erfahrungen zur Zuverlässigkeit der RAB vor? - Als Betreiber der Nagoldtalbahn ließ die RAB im Winter 2019/20 über Monate bis zur Hälfte der fahrplanmäßigen Züge ausfallen, Schülerinnen und Schüler standen in der Kälte („wegen Personalmangel“, wie es hieß, wohlgemerkt: vor Corona.) Wo konnte man reklamieren? - Auf Nachfrage im Kreistag hieß es, das Landratsamt sei nicht gefragt worden, und man könne nichts machen.
Die „Berücksichtigung aller Umstände“ hat hier offensichtlich nicht stattgefunden, sonst hätte bei den geringen Angebotsdifferenzen jeder einzelne dieser Umstände die Entscheidung in die andere Richtung drehen müssen. Kurzum, wir haben Ursache anzunehmen, dass die Vergabe nicht vom Gesetz gedeckt ist.
Ein weiterer Aspekt sei nur erwähnt: Es handelt sich um Infrastrukturvergaben. Anders als bei Vergabe von Straßenbelägen, Dachsanierungen, Reinigungsdiensten usw. gilt hier: Wer den Zuschlag erhält, hat ein Gebietsmonopol, kann alle anderen (hier) für acht Jahre aus dem Gebiet ausschließen. Das heißt, die Vergabe verändert für lange Zeit den Markt selbst. Denn wie sollen Mittelständler einen de facto-Ausschluss von acht Jahren in ihrem lokalen Stammgebiet überstehen? - Diese Tatsache wiederum spricht dafür, dass das verwendete Vergabe-Verfahren hier (für dieses Markt-Design, wie Ökonomen sagen) ungeeignet ist. Es schafft nämlich starke Anreize für große externe Anbieter, ein Gebiet z.B. durch Kampfpreise zu „erobern“, denn schon das einmalige Erobern schaltet kleinere Konkurrenten mit großer Wahrscheinlichkeit dauerhaft aus. Der Effekt ist hier geradezu in der Natur des Verfahrens eingebaut. Das hat jetzt die Realität prompt gezeigt, indem die RAB sich auf Anhieb alle drei ausgeschriebenen Bündel geschnappt hat. Die wirtschaftlichen Folgen zeigen sich teils sofort (Stop mittelständischer Investitionen), teils werden sie erst später spürbar (für den öffentlichen Nahverkehr und den Landkreis). - Dieses Problem übersteigt freilich die Kompetenz des Kreises Calw, es wäre wohl Grund, auch die staatliche Aufsicht (Wirtschafts-, Verkehrsministerium) einzuschalten bzw. das Land Baden-Württemberg zu marktgerechter und mittelstandstauglicher Anpassung der Vergabenormen zu veranlassen. Wie man hören kann, treten gleichartige Probleme gegenwärtig in vielen Landkreisen auf. Sonntagsreden zur großen Bedeutung mittelständischer Unternehmen klingen gut, man muss aber auch handeln.
Die Erfahrung, die der Kreis Calw gerade machen muss, hat jedenfalls (unabhängig von eigenen Fehlern) deutlich größere Tragweite als sonstige übliche Vergaben. Die Tragweite hier ist gewaltig genug, um alles zu tun, um die Schäden von unserem Kreis abzuwenden.
Viele Grüße
Dr. Rainer Prewo